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Interview mit Christian Wellbrock

Erfolgreicher digitaler Journalismus

Was sind die Herausforderungen und Chancen für erfolgreichen Journalismus in einer zunehmend digitalen Welt? Ende 2018 fand zu diesem spannenden Thema ein eintägiges Symposium unter dem Titel „Erfolgreicher digitaler Journalismus“ der Professur für Medien- und Technologiemanagement statt, bei dem Referent*innen und Gäste aus Wissenschaft und Praxis lebhaft im Kölner Startplatz diskutierten. Der Hashtag der Veranstaltung, #edj18, erreichte dabei zeitweise Platz eins der deutschen Twitter-Trends. Am 25. und 26. September 2019 soll es eine Fortsetzung des Symposiums geben, dann mit Schwerpunkt auf „Entrepreneurial Journalism“. 

Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln, erklärt uns im folgenden Interview unter anderem, was für ihn erfolgreicher digitaler Journalismus ist, wie ein gangbarer Weg in punkto Zahlungsbereitschaft für Onlinemedien aussehen kann - und warum er selbst kein Journalist, sondern Wissenschaftler geworden ist. 

Interview mit Christian Wellbrock

Erfolgreicher digitaler Journalismus: Was bedeutet das für Sie?

In unserer Forschung betrachten wir Erfolg aus zwei Perspektiven. Einerseits aus wirtschaftlicher Perspektive. Hier bedeutet Erfolg zum Beispiel Umsatz, Gewinn, Rendite, Reichweite oder schlicht Unternehmensfortbestand.
Andererseits betrachten wir Erfolg aus der Perspektive der Demokratie, also z.B. ob und inwiefern bestimmte Formen des Journalismus zur Informiertheit der Gesellschaft sowie zur gesellschaftlichen Meinungsbildung beitragen und damit die Funktionen der Massenmedien in demokratischen Gesellschaften erfüllen.

Sie beschäftigen sich mit der Ökonomik und Management des digitalen Journalismus. Können Sie genauer erklären, was damit gemeint ist? 

Wir versuchen die ökonomischen Strukturen von Märkten, die mit Journalismus zu tun haben, besser zu verstehen, um damit das Verhalten verschiedener Marktteilnehmer zu erklären, zukünftige Entwicklungen abzusehen und daraus Managementimplikationen abzuleiten. 
Wir schauen uns also beispielsweise Kostenstrukturen und Nachfrageverhalten an. Beides hat sich im Zuge der Digitalisierung stark verändert und hat teils dramatische Auswirkungen auf das Marktergebnis. Wir versuchen nun diese Zusammenhänge, meist mithilfe ökonomischer Konzepte, zu verstehen, um daraus Strategien für Anbieter digitaler journalistischer Angebote zu entwickeln. Damit versuchen wir einen Beitrag dazu zu leisten, dass auch in Zukunft demokratierelevanter Journalismus finanziert werden kann.

Das alte Finanzierungsmodell der vornehmlichen Werbefinanzierung für Journalismus ist überholt.

Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement

Auch beim Symposium wurden immer wieder die Schwierigkeiten angesprochen, denen sich der Journalismus gegenübersieht. Besonders das Thema Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte und Bezahlmodelle waren immer wieder Thema. Wie sieht Ihrer Meinung nach ein gangbarer Weg in die Zukunft aus?

Die Frage ist leider sehr schwer zu beantworten. Es scheinen sich aus meiner Sicht aber zwei wichtige Aspekte abzuzeichnen. Zum einen scheint die zahlungsbereite Nachfrage für journalistische Inhalte sehr viel geringer zu sein, als das erwartet oder zumindest erhofft wurde. Das liegt zu großen Teilen daran, dass die Nachfrage für Journalismus in der Vergangenheit offenbar systematisch überschätzt wurde. Vermutlich haben die Leute früher eine Zeitung gar nicht allzu sehr wegen der journalistischen Inhalte, sondern vielmehr auch wegen der Rubrikenanzeigen, der Kreuzworträtsel, dem lokalen Veranstaltungskalender und anderen, nicht unbedingt journalistischen Inhalten gekauft. Diese Dinge waren früher mehr oder weniger fest mit den journalistischen Inhalten verbunden. Diese Bündelung fällt im Digitalen aber praktisch vollständig weg. 

Hinzu kommt der frühere Mangel an Alternativen. Früher konnte man – überspitzt formuliert – die Regionalzeitung abonnieren und die Abendnachrichten im TV schauen. Viele Alternativen gab dazu nicht. Mittlerweile haben die Menschen in der digitalisierten Welt aber sehr viel mehr Auswahl und damit Ausweichmöglichkeiten. 
Diese beiden Aspekte – der Wegfall der Bündelung und die steigenden Ausweichmöglichkeiten – tragen beide dazu bei, dass wir nun sehen, was die Menschen wirklich konsumieren wollen. Und das ist leider weniger Journalismus, als viele dachten. 

Zum anderen bin ich aber davon überzeugt, dass es immer auch martkliche Verwertungsmöglichkeiten für Journalismus geben wird. Allerdings muss die vorhandene Nachfrage besser monetarisiert werden. Dazu gehört zunächst einmal, in aller Tiefe zu verstehen, welche Bedürfnisse und Motive Journalismus im Allgemeinen, aber auch der einzelne Anbieter, überhaupt erfüllen kann. 
Hier wird es nicht die eine Lösung geben. Vielmehr sollten Medienanbieter mit verschiedenen Geschäfts- und Erlösmodellen experimentieren. 
In der Konsequenz kann das z.B. heißen, dass für das eine Unternehmen der klassische Verkauf von Inhalten funktioniert, während andere wiederum über das Reichweitenmodell und kostenlose Inhalte versuchen sich über den Werbemarkt zu finanzieren. Nochmals andere sind vielleicht mit freiwilligen Zahlungen, Spenden oder Crowdfunding erfolgreich, weil sie eher ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl als die reinen Inhalte „verkaufen“. Auch gemeinwohlorientierte Menschen könnte man über solch ein Mitgliedschaftsmodell ansprechen. Und auch Einnahmen über Merchandising oder Events sind nicht zu vernachlässigen. Ganz generell würde ich sagen: das alte Finanzierungsmodell der vornehmlichen Werbefinanzierung für Journalismus ist überholt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich die meisten erfolgreichen Anbieter auf mehrere Erlösströme stützen werden.  

Es scheint sich eine Art Kultur des „Schönschreibens“ etabliert zu haben, die an einigen Stellen übertrieben wurde.

Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement

Ende 2018 hat ein Skandal um einen bis dahin angesehenen und bekannten Spiegelreporter Wellen geschlagen. Können Sie kurz dazu Stellung nehmen? Welche Lehren sollten daraus gezogen werden?

Gerade die Tatsache, dass solch eine renommierte Medienmarke wie der Spiegel, der zudem eine sehr aufwändige Qualitätsprüfung betreibt, maßgeblich beteiligt war, macht den Fall Relotius so spektakulär. 
Fraglich bleibt aus meiner Sicht, inwiefern dies der Marke „Der Spiegel“ nachhaltig Schaden zufügt – sowohl innerhalb der Medienbranche als auch in der Öffentlichkeit. Ich habe da in beiden Fällen meine Zweifel. Ich könnte mir vorstellen, dass die Einstellung der Konsumenten gegenüber dem Spiegel im speziellen und den Massenmedien im Allgemeinen von sehr viel grundsätzlicheren Entwicklungen abhängig ist als von diesem speziellen Fall. 
Was mir gefällt ist, dass in der Folge eine intensive Debatte über das sogenannte „Storytelling“ aufkam. Es scheint sich ja eine Art Kultur des „Schönschreibens“ etabliert zu haben, die an einigen Stellen übertrieben wurde. Ein Grund hierfür ist sicherlich der Wunsch nach Bestätigung von Kolleginnen und Kollegen, z.B. durch den Gewinn von Journalistenpreisen. Auch wenn ich selbst kein Journalist bin, denke ich schon, dass auch im Bereich des Journalismus bestimmte Dinge immer wieder neu verhandelt und diskutiert werden müssen – auch öffentlich und auf einer großen Bühne. Hier wäre also die Frage, inwieweit Journalisten „Geschichten erzählen“ und/oder neutral berichten sollen, inwiefern sie Handwerker und/oder Künstler sind. 
Auch wenn solch ein spektakulärer Betrugsfall natürlich kurzfristig erst einmal negative Effekte hat, glaube ich, dass solche öffentlichen Diskussionen dem Vertrauen in die Medien langfristig eher zuträglich sein werden, denn sie schaffen ein Stück weit Transparenz. Und davon braucht es meiner Ansicht nach noch viel mehr, damit Konsumenten sich ein Bild von der Branche machen können. 
Die Journalismusbranche ist für den Konsumenten nämlich nur sehr schwer einzuschätzen. Im Gegensatz bspw. zu Ärzten ist der Beruf des Journalisten und Journalistinnen nämlich nicht geschützt. Jeder kann sich Journalist nennen, man muss nicht nachweisen können, dass man das Handwerk auch einmal gelernt hat. Das ist bei Ärzten anders, die müssen studiert haben, um sich so nennen zu dürfen. Das sorgt für ein gewisses Maß an Sicherheit und stiftet Vertrauen. Damit die Konsumenten aber zwischen „guten“ Journalisten und den nicht so guten unterscheiden können, benötigen sie Transparenz und Informationen – z.B. über die journalistische Arbeitsweise und darüber, wie man das Einhalten journalistische Standards erkennen kann. Dafür sind solche öffentlichen Diskussionen meiner Ansicht nach wichtig.

Durch die Digitalisierung haben sich die Kostenstrukturen so geändert, dass Journalismus nicht mehr fast zwangsläufig in großen Organisationen produziert werden muss.

Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement

In diesem Jahr startete Ihr Projekt zur Zahlungsbereitschaft in Kooperation mit Riff Reporter, einer genossenschaftlichen Plattform für unternehmerischen Wissenschaftsjournalismus. Was wollen Sie dabei genau untersuchen?

Im Kern wollen wir verstehen, welche Faktoren dazu beitragen, dass journalistische Gründer wirtschaftlich erfolgreich sein können. Wirtschaftlich erfolgreich bedeutet in diesem Zusammenhang zunächst einmal das reine Überleben der Unternehmung. 
Durch die Digitalisierung haben sich die Kostenstrukturen nämlich so geändert, dass Journalismus nicht mehr fast zwangsläufig in großen Organisationen produziert werden muss. Man benötigt z.B. keinen Zugang mehr zu teuren Druckmaschinen oder Fernsehstudios und Sendeinfrastruktur, sondern kann mit sehr viel geringerem Aufwand auch in kleineren Einheiten produzieren. Zudem lassen sich vormals geografisch getrennte Nachfragen durch die Informationstechnologien gut aggregieren, wodurch Potentiale für kleine Organisationseinheiten mit spezifischem Wissen und Kenntnissen entsteht. Ich will dabei nicht verschweigen, dass es auch im Digitalen zum Teil neue Kräfte gibt, die wiederum für größere Organisationsstrukturen sprechen, z.B. Größenvorteile, was Daten betrifft. Dennoch habe ich Hoffnung, dass journalistische Gründer einige der aktuell entstehenden Lücken in der journalistischen Berichterstattung zumindest teilweise schließen können.
RiffReporter als Plattform zwischen journalistischen Gründern und Konsumenten ist dabei ein sehr wichtiger Kooperationspartner. Dadurch können wir in direkter Zusammenarbeit mit den Praktikern erforschen was besser funktioniert und was nicht. Und was vielleicht noch benötigt wird an Infrastruktur, um die Erfolgschancen von journalistischen Entrepreneuren zu erhöhen.
Konkret wollen wir unter anderem untersuchen, welche Bezahlmodelle vielversprechend sind, wie Inhalte und Paywalls gestaltet werden können und welche Motive und Bedürfnisse potentieller Nutzer digitaler Journalismus erfüllen kann.
Parallel arbeiten wir an einem Projekt in Kooperation mit der Landesanstalt für Medien NRW. Hier erforschen wir, wer für welche Art von digitalen journalistischen Produkten bereit ist zu bezahlen. Wir gehen davon aus, dass sich daraus auch wichtige Erkenntnisse für das Riff-Reporter-Projekt ableiten lassen und umgekehrt. Insofern ergänzen sich die beiden Projekte sehr gut und wir sind guter Dinge, dass sie gegenseitig voneinander profitieren.

Sie selbst hatten zunächst vor, Journalist zu werden. Was hat Sie an dem Beruf gereizt? Und warum sind Sie am Ende doch Professor geworden?

Gereizt hat mich an dem Beruf besonders die Suche nach der Wahrheit und die damit verbundene Relevanz für unsere Demokratie. Nach ein paar Praktika habe ich aber recht schnell gemerkt, dass es doch recht viele Menschen in dem Berufsfeld gibt, die talentierter waren als ich. 
Da habe ich es in der Wissenschaft versucht und Glück gehabt, dass ich im Bereich Medienmanagement promovieren konnte. So durfte ich weiter im Umfeld des Journalismus arbeiten und tue das bis heute mit Begeisterung. Gerade im Zuge der Digitalisierung und der technologischen Entwicklung kann ich kann mir kaum ein spannenderes Feld vorstellen.

Vielen Dank, Professor Wellbrock!
 

Die Fragen stellte Sarah Brender.

Weitere Informationen zum Symposium

Das nächste Symposium wird am 25. September nachmittags und am 26. September 2019 vormittags stattfinden. Zugesagt als Speaker hat unter anderem bereits Jeremy Caplan von der CUNY. Weitere Informationen zum Symposium finden Sie hier: Symposium "Erfolgreicher digitaler Journalismus: Entrepreneurial Journalism" (25. und 26. September 2019)

Im Anschluss an das Symposium richtet das Netzwerk „Medienökonomie JR“ am 26.9. nachmittags einen Doktorand*innenworkshop an der UzK aus. Am 26.9. abends bis einschließlich 28.9. richtet Christian-Mathias Wellbrock darüber hinaus zusammen mit Christian Zabel von der TH Köln die Jahrestagung der Fachgruppe Medienökonomie der DGPuK aus.