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Was brachte die erste Krankenversicherung?

Ökonometrische Studie beleuchtet Bismarcks Krankenversicherung und ihre historische Auswirkung auf die Sterblichkeit.

Wer krank ist, geht zum Arzt, wird behandelt und lässt sich wenn nötig krankschreiben, bis die Gesundheit wiederhergestellt ist. Die Krankenversicherung macht es möglich und ist als Teil des Sozialsystems in Deutschland heute eine Selbstverständlichkeit. Auch in vielen anderen Ländern bestehen Krankenversicherungssysteme, die in Grundzügen auf dem von Otto von Bismarck 1884 im deutschen Reich eingeführten Modell beruhen.

Welchen Erfolg die bismarckschen Maßnahmen auf die Gesundheitsversorgung der Arbeiter hatten, ist eine erstaunlich umstrittene und auch heute noch aktuelle Frage, insbesondere deshalb, weil zum Zeitpunkt ihrer Einführung nur wenige Krankheiten medikamentös behandelt werden konnten. In vielen Entwicklungsländern wird derzeit über die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung diskutiert. Auch da, wo ein System existiert, stehen die konkrete Ausgestaltung und ein eventueller Reformbedarf immer wieder im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit.

Welche Konsequenzen die Einführung der weltweit ersten gesetzlichen Krankenversicherung für die Gesundheit der Arbeiter in Preußen hatte, haben Professor Stefan Bauernschuster (Universität Passau), Anastasia Driva (Swiss Re) und Professor Erik Hornung vom Center for Macroeconomic Research in einer Studie untersucht, die in Kürze im Journal of the European Economic Association erscheint. Ihr ökonometrischer Ansatz stützt sich auf administrative Sterblichkeitsdaten der preußischen Regierungsbezirke und Landkreise aus den Jahren von 1875 bis 1904.
Bereits in diesem Zeitraum wies das statistische Amt in Preußen Sterblichkeitszahlen nach Berufsgruppen aus. Kombiniert mit Daten aus Berufs- und Bevölkerungszählungen im Deutschen Reich konnten Bauernschuster, Driva und Hornung damit berufsspezifische Sterblichkeitszahlen berechnen. Den Umstand, dass die Pflichtversicherung 1884 nur für Arbeiter eingeführt wurde, während andere Berufsgruppen wie Beamte ausgenommen waren, nutzten die Autoren geschickt. Sie nutzen die Einführung der Krankenversicherung gewissermaßen als ein natürliches Experiment mit einer Behandlungsgruppe (Arbeiter) und Kontrollgruppe.

In der Analyse zeigte sich, dass die Krankenversicherung der Arbeiter schon bald nach 1884 ein deutliches Absinken der Sterblichkeit verursachte, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bis zu elf Prozent. Die Autoren können zudem Ausschließen, dass die Veränderung der Sterblichkeit durch eine gleichzeitige Verbesserung der Sanitärinfrastruktur oder Veränderung der Urbanisierung verursacht wurde. Die Krankenversicherung reduzierte die Sterblichkeit im durchschnittlichen Landkreis um 0,83 Todesfälle pro 1000 Einwohner, was ca. 16,5% des gesamten Sterblichkeitsrückgangs im Untersuchungszeitraum erklärt.
Weitere Untersuchungen der Todesursachen und der Ausgabenstruktur von Krankenkassen ergaben, dass der Rückgang besonders durch eine geringere Zahl von Infektionskrankheiten, speziell der Tuberkulose, zur Abnahme der Sterblichkeit führte. Dieser Rückgang war besonders stark mit höheren Ausgaben für Arztbesuche verbunden, wohingegen ein direkter Effekt der Zahlung von Krankengeld nicht nachzuweisen ist. Dementsprechend schließen die Autoren, dass die Krankenversicherung durch die Vorbeugung von Infektionskrankheiten wirkte, wohingegen die Stabilisierung des Einkommens während Krankheitsepisoden keine unmittelbare Auswirkung hatte.

Der entscheidende Effekt bei der Sterblichkeitsreduzierung liegt mithin, schließen Bauernschuster, Driva und Hornung, in der Verbreitung neuen Wissens über Hygiene durch Ärzte. Die Krankenversicherung erleichterte einer unter schlechten hygienischen Bedingungen lebenden Bevölkerungsschicht den Zugang zu Informationen über Infektionskrankheiten. In heutigen Entwicklungsländern könnte die Verfügbarkeit von Informationen zur Übertragung von Infektionskrankheit ebenso wichtig sein, insbesondere in Zeiten von Ebola und ähnlichen Infektionskrankheiten.

• Die Studie ist im Journal of the European Economic Association aufrufbar.

• Find an Expert-Seite von Prof. Dr. Erik Hornung