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„Immer wieder – also jeden Tag offen zu sein für das, was einem begegnet.“

Prof. Dr. Nicole Naeve-Stoß, erste Prodekanin der WiSo-Fakultät im Interview.

Prof. Dr. Naeve-Stoß in rotem Blazer, lächelnd vor einer Backsteinmauer mit dem WiSo Schriftzug im Hintergrund.

Liebe Frau Naeve-Stoß, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Zuallererst, herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt als erste Prodekanin der WiSo-Fakultät. Lassen Sie uns mit ein paar schnellen Fragen starten:
 
Kaffee oder Tee? Kaffee. Filterkaffee oder Latte Macchiato? Latte Macchiato. Nutella ja oder nein? Ja. Bestellen oder selber kochen? Bestellen. Sommer oder Winter? Winter. Anruf oder E-Mail? E-Mail. Buch oder Tablet? Buch. Digital Native oder offline? Offline. Auto oder Fahrrad? Fahrrad. Köln oder Düsseldorf? Köln. Köln oder Hamburg? Hamburg.

1.    Sie haben bereits seit 2017 die Professur für Wirtschaftspädagogik der Universität zu Köln inne. Was zeichnet diese Arbeit aus?

Ich bin Wirtschaftspädagogin am Institut für Berufs, Wirtschafts- und Sozialpädagogik. Und es ist eine große Freude, hier zu arbeiten, weil es thematisch genau das ist, was ich gerne mache: nämlich in der beruflichen Bildung und Lehrer:innenbildung zu forschen und mitzugestalten. Es ist toll, dass wir hier einen Studiengang haben, in dem wir vor allem auch für die Zukunft ganz stark bilden, weil unsere Studierenden überwiegend an Berufskollegs unterrichten werden und somit zu Multiplikator:innen werden, die dann wiederum die Jugend von heute und von morgen in ihrer Entwicklung begleiten. Und es ist großartig im Team hier: Also insgesamt ist es einfach eine große Freude, bereichernd und sehr inspirierend; auf allen Ebenen und mit allen Personen, mit denen man so zu tun hat, sowohl am Institut als auch mit den Student:innen.

2.    Wie ist es speziell als Frau an der WiSo zu arbeiten?

Es ist ein einerseits und andererseits. Es ist einerseits eine Bereicherung, weil man als Frau eine wichtige Perspektive an der Fakultät einbringen kann und in viele Bereiche eingebunden ist. Das betrifft jetzt vor allem den Bereich der Professorinnen und Professoren. Man bekommt dadurch sehr, sehr viel mit, weil man an allen Stellen dann auch gefragt ist, als Frau und eingebunden wird. Man erhält intensive Einblicke und kann einerseits lernen, aber es fordert eben auch ein, dass man/frau andererseits dann für sehr vieles zur Verfügung steht. Und das ist nicht immer ein Vorteil.

3.    Der Titel Ihrer Promotionsarbeit von 2013 lautet „Studienreform aus studentischer Perspektive – Einzelfallstudien zur Rekonstruktion studentischer Wahrnehmungen, Beurteilungen und Studienstrategien im Rahmen des Lehramtsstudiums für berufliche Schulen. Ist die studentische Sichtweise auf das Lehramtsstudium immer noch ein Thema, das sie begeistert?

Ja, es ist immer noch ein sehr aktuelles Thema für mich. Ich finde genau die Perspektive der Studierenden auf die Studiengänge übermäßig wichtig. Wir sollten versuchen, uns diese Sichtweise zu erschließen und sie zu verstehen, um das Studium auf dieser Basis weiterentwickeln zu können. Damals war genau die Zeit, in der es wesentliche Reformen gab, von den Diplomstudiengängen hin zu den Bachelor- und Masterstudiengängen. Ich habe in Hamburg promoviert. Dort hatten wir diese strukturelle Reform intensiv verbunden mit einer inhaltlichen Weiterentwicklung des Studiengangs. Und wir hatten damals die Vorstellung, dass das, was wir da entwickelt haben, zu dem passen müsste, was Studierende wertschätzen und von dem sie aus ihrer eigenen Wahrnehmung heraus auch sagen würden, dass sie es brauchen.

Und wir haben dann festgestellt, dass die Wahrnehmungen der Lehrenden und Studierenden nicht zwingend übereinstimmen. Insofern können auch alle möglichen Innovationen, die wir jetzt beispielsweise in Studiengängen durchführen, die mit einer guten Idee verbunden sind, trotzdem in Anführungsstrichen, „daneben liegen“, wenn sie nicht die Handlungsstrategien, die Ziele und die Motive der Studierenden berücksichtigen. Das heißt jetzt nicht, dass man das Studium immer an Studierende anpassen muss, sondern für mich heißt es, die Perspektive von Studierenden zu verstehen und dann darüber in den Diskurs gehen zu können und auf Basis solcher Erkenntnisse das Studium weiterzuentwickeln. Im Grunde sind ja unsere Studierenden die Einzigen, die einen Studiengang in seiner Ganzheit erleben. Ich selbst kriege immer nur einzelne Module mit.

4.    Sie sind auch Herausgeberin einer der wichtigsten wirtschaftspädagogischen Zeitschrift (bwpat), was reizt Sie an dieser Tätigkeit?

An der Tätigkeit begeistert mich einerseits die Zusammenarbeit im Team, weil wir ein wunderbares Team von Berufs- und Wirtschaftspädagog:innen sind. Diese Teamarbeit ist großartig. Andererseits ist es für mich interessant, weil wir mit dieser reinen Online-Zeitschrift (seit 2001) über Open Access veröffentlichen. Das finde ich gut, weil das schon die Idee zur Gründung war, online und zugänglich für alle zu veröffentlichen. Wir veröffentlichen nun schon seit über 20 Jahren Beiträge für die Wissenschaft und die Praxis der beruflichen Bildung. Besonders fasziniert mich dabei das Arbeiten mit neuen Formaten. So habe ich mit Kolleg:innen etwa das Format „bwp-Zwischentöne“ entwickelt. Hier erstellen wir Videocasts und Podcasts, wir laden Gäste ein und versuchen möglichst viele Medien zu bespielen. Das gibt mir die Möglichkeit, Dinge zu erproben und das macht mir Freude.

5.    War es ein konkreter Wunsch von Ihnen, einmal Prodekanin zu werden?

(lacht) Nein, das war kein konkreter Wunsch von mir. Ich wollte immer an die Universität, weil ich forschen und lernen miteinander kombinieren wollte. Insofern war ich auch nicht zwingend darauf aus, Professorin zu werden, auch wenn es genau dazu gekommen ist. Aber ich habe mich vor allem für die Universität entschieden, weil ich an dieser Institution wirken und gestalten möchte - im Bereich Forschung, Lehre und Lernen.

6.    Was sind genau Ihre Aufgaben?

Ein zentrales Aufgabenfeld, das mir auch besonders wichtig ist, ist das Gebiet Gender und Diversity besonders, diesen Bereich an der Fakultät gemeinsam mit Kolleg:innen zu bearbeiten, sich mit zentralen Themen in diesem Bereich auseinanderzusetzen und daran zu arbeiten, wie wir uns in diesem Bereich weiterentwickeln können. Das ist ein zentraler Themenschwerpunkt. Darüber hinaus ist das erste Prodekanat ein bisschen offener, weil keine sonstigen konkreten Funktionen damit verbunden sind, außer das ich natürlich den Dekan vertrete. Es ist damit eine Aufgabe, die sehr viel Gestaltungsoffenheit bietet und gerade vor diesem Hintergrund sehr spannend ist. 

7.    Was begeistert Sie abseits Ihres Berufs neben Ihrer akademischen Tätigkeit besonders?

Fotografie. Es ist vor allem der Versuch, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, also Dinge auf der Welt aus anderen Perspektiven festzuhalten. Und insofern findet man mich manchmal auf dem Boden liegend. Oder ich klettere irgendwo rauf, um etwas von oben oder liegend eben von unten einzufangen. Ich verwende dabei keine Hilfsmittel, da mir der tatsächliche Perspektivwechsel wichtig ist. Man müsste sich nicht auf den Fußboden legen. Ich finde es aber wichtig, dass wirklich auch meine Augen die Perspektive, die ich versuche einzufangen, einnehmen. Dabei fotografiere ich eigentlich alles, aber überwiegend Natur und Architektur, weniger Menschen oder Interaktionen. Dieses Hobby ist etwas, das mich wirklich schon seit sehr langer Zeit begleitet und fasziniert.

8.    Der Slogan der WiSo Fakultät ist Today’s Ideas. Tomorrow’s Impact. Wie sehen Sie Ihren zukünftigen „Impact“ als Prodekanin der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät?

Also ein Impact, den ich mir für die Wiso Fakultät wünschen würde, wäre das alle die Fakultät als einen Ort des offenen Diskurses erleben, der Problemlösung und der gemeinsamen Arbeit an Problemen. Dabei sollten wir uns die Frage stellen: Was sind Zukunftsthemen, die wir gemeinsam angehen können – in der Forschung, in der Lehre und im Diskurs mit der Gesellschaft? Die Fakultät sollte dafür ein Ort der Kreativität und der gemeinschaftlichen Problemlösung sein. Das wäre mir besonders wichtig: ohne Hierarchie auf Augenhöhe, integrierend, integrativ das Ganze zu gestalten. Für meine Studierenden in der Wirtschaftspädagogik wünsche ich mir, dass sie die Phase an der Universität zu Köln als etwas erleben, in der sie lernen, kritisch zu reflektieren, in der sie zu gestaltungswilligen und gestaltungsfähigen Menschen werden, um später ein Wirkungsfeld aufbauen zu können, in dem sie Menschen erreichen und diese auf ihren Entwicklungsprozessen begleiten. 

9.    Die WiSo in drei Schlagworten?

Diskursiv, lebendig und integrierend. Ich weiß nicht, ob die WiSo das jetzt schon ist, aber es wäre mein Zukunfts- und Wunschbild.

10.    Gibt es etwas, dass Sie unseren Leser:innen sprichwörtlich „mit auf den Weg geben“ wollen?

Immer wieder – also jeden Tag offen zu sein für das, was einem begegnet; nicht zu sehr eigene Interpretationsfolien, die man entwickelt hat, bei dem, was einem begegnet immer gleich zugrunde zu legen, sondern wirklich den Menschen und den Dingen mit Offenheit zu begegnen, sie aufzunehmen, zu schauen, wo „Schwingungen“ entstehen, was resoniert und gemeinsam zu gestalten. Und beim Gestalten wäre mir wichtig, Mut zu haben, im Sinne eines positiven und konstruktiven Umgangs mit Fehlern. Ich glaube, wenn wir keine Fehler machen, dann ist das ein schlechtes Zeichen, weil sich dann kein wirklicher Lernprozess einstellen kann. Fehler zeigen, dass wir etwas Neues versuchen, uns anstrengen und uns weiterentwickeln. Habt Mut dazu!