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Köln-Alumna Sandra Navidi im Interview des Universitätsmagazins

Was zählt, sind Werte und Inhalte

Foto: Dirk Eusterbrock


Die Köln-Alumna Sandra Navidi gehört zur globalen Finanzelite. 2017 wurde die Juristin, Profi-Netzwerkerin und Buchautorin in die exklusive Liste der LinkedIn Influencer aufgenommen. Im Interview verrät sie, worauf es beim Netzwerken ankommt.

Frau Navidi, Sie haben in den 1990er Jahren an der Uni Köln Jura studiert. Haben Sie von Anfang an auf ein starkes Netzwerk gesetzt?
Nein, ich habe eigentlich erst gemerkt, wie wichtig das ist, als ich vor 17 Jahren nach New York kam. Damals kannte ich kaum jemanden in der Stadt und musste proaktiv auf Menschen zugehen. Mit den technischen Netzwerken wachsen junge Menschen heute ja selbstverständlich auf. Aber was wir oft vergessen, übersehen oder sogar verlernen, ist wie wichtig persönliche Kontakte sind. Hier in New York habe ich gemerkt, wie sehr sich im Grunde alles auf persönliche Kontakte reduziert.

Ist die Qualität von Beziehungen also wichtiger als die Größe eines Netzwerks?
Nein, es kommt auf beides an. Die Tiefe eines Netzwerks ist natürlich wichtig. Auf der anderen Seite sind gerade die schwachen Verbindungen – die „weak links“ – oft entscheidend. Das zeigt sich in allen Arten von Netzwerken. Mit Leuten, die wir gut kennen, haben wir viel gemeinsam. Sie haben Zugang zu den gleichen Informationen und denken wie wir. Aber gerade bei der Jobsuche verhelfen die schwachen Verbindungen oft zum Erfolg. Sie haben andere Kontakte, haben andere Leute und Themen auf dem Radar.

Die Pflege eines Netzwerks ist sehr zeitaufwendig. Wie schaffen Sie das neben all Ihren anderen Verpflichtungen?
Das ist auch für mich eine Herausforderung. Ich bin eher introvertiert und muss mich immer wieder selbst zum Netzwerken motivieren. Man kann es nicht outsourcen und es gibt auch kein Geheimrezept dafür. Je weiter man im Berufsleben kommt, desto mehr Leute kennt man natürlich. Die Beziehungen, die tief und gut sind, kann man dann schon mal länger vernachlässigen. Aber neue Kontakte brauchen mehr Pflege. Trifft man jemanden bei einer Konferenz wieder, sollte man noch mal speziell auf die Person zugehen, sie als Kontakt anerkennen, sich Zeit für einen Kaffee nehmen. Mit einmal Treffen und Visitenkarten austauschen ist es nicht getan.

Wie kann ein Netzwerk wie KölnAlumni seine Mitglieder am effektivsten unterstützen?
Netzwerke sind erfolgreich, wenn Sie gewisse Werte und eine übergeordnete Idee teilen. Natürlich müssen sie auch eine ganz konkrete Plattform für Austausch schaffen. Aber Menschen verbinden sich immer über Inhalte. Plattformen, die nur Events anbieten, die offensichtlich dem Zweck des Netzwerkens dienen, haben oft langfristig keinen Erfolg. Das ist zu oberflächlich. Das Weltwirtschaftsforum im Davos beispielsweise arbeitet sehr stark über Inhalte. Auch deshalb ist es zur wichtigsten Plattform der globalen Wirtschaftselite geworden. Was zählt sind also Werte und Inhalte. Sinnvoll ist aber auch, in einer Art Kontaktbörse gezieltes „Matchmaking“ anzubieten.

Aber Netzwerke sind nicht alles. Was ist für junge Menschen am Anfang des Berufslebens heute noch wichtig?
Netzwerke werden natürlich auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Aber die Arbeitswelt wandelt sich rasant. Das ist die Grundannahme meines zweiten Buchs, an dem ich gerade schreibe. Teilbereiche vieler – auch höherqualifizierter – Tätigkeiten fallen im Zuge der Digitalisierung weg.

Was bedeutet das?
Viele der heutigen Berufsanfänger werden am Ende ihrer Karriere Berufe ausüben, die es heute noch gar nicht gibt. Es wird eine Übergangszeit der Anpassung geben, in der viele Menschen ihren Job verlieren und mehr Menschen um vorhandene Jobs konkurrieren – auch global. Deswegen braucht man heute von Anfang an eine andere Einstellung. Wir können uns in Zukunft nicht mehr auf spezifische Jobs vorbereiten. Aber wir können durchaus Qualifikationen identifizieren, die wichtig sein werden, und sie kultivieren.

Was sind das für Qualifikationen?
Ich habe beispielsweise schon früh in meinem Studium die kommende Internationalisierung erkannt. Bei dem Vorgespräch zur mündlichen Prüfung zu meinem zweiten Staatsexamen saß ich vor einem Richter. Der fragte mich, was ich denn jetzt machen wollte. Ich antwortete, dass ich als nächstes nach Amerika gehen und einen Master of Law machen werde. Ich war ganz stolz und aufgeregt, aber er sagte nur herablassend: „Das können Sie sich sparen, das bringt überhaupt nichts.“ Damals konnte man vielleicht noch nicht absehen, dass internationale Erfahrung auch für Juristen sehr wichtig sein würde. Diese internationale Ausrichtung haben die Studierenden heute eh viel stärker.

Sie haben ja nicht nur das Land, sondern auch einige Male die Tätigkeit gewechselt. Wann lohnt es sich, einen radikalen Wechsel zu wagen?
Ich hatte keinen Masterplan, habe mir aber immer geistig Raum für Flexibilität gelassen. Ich bin wahrscheinlich einfach auch ein risikofreudigerer Mensch. Und obwohl ich die Felder stets aus Interesse gewechselt habe, wurden sie oft erst durch meine Netzwerkkontakte ermöglicht. So war ich bereit interessante Gelegenheiten zu ergreifen, wenn sie sich boten.

Also sollte man immer vorbereitet sein.
Ich glaube, dass Tätigkeitswechsel in Zukunft immer mehr die Norm sein werden, denn die Arbeitswelt entwickelt sich nicht mehr starr und linear, sondern dynamisch und teilweise unvorhersehbar. Auch äußere Faktoren spielen eine Rolle: In welchem Stadium der professionellen Laufbahn ist man? Wie ist man persönlich aufgestellt? Hat man eine Familie und entsprechende finanzielle Verpflichtungen? Das alles beeinflusst natürlich die Risikobereitschaft. Solche Entscheidungen werden Menschen in Zukunft immer mehr abgenommen, und Risikofreudigkeit wird dabei eher belohnt werden.

In Ihrem Bestseller von 2016 beschreiben Sie die am besten vernetzten Akteure der globalen Finanzwelt: sogenannte „Super-hubs“. Durch ihre starken Netzwerkpositionen häufen diese Akteure immer mehr Wissen, Kapital und Macht an, womit sie sie das gesamte Finanzsystem dominieren. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe das Buch geschrieben, weil viele meiner Bekannten und Beratungsklienten wissen wollten, wie es in der Finanzwelt hinter den Kulissen zugeht. Und sie waren neugierig auf meine eigenen Netzwerke und das Netzwerken allgemein. Das Buch hat zwei Stränge: einen sozialkritischen und, indirekt, einen karrieretechnischen. Ich setze mich einerseits damit auseinander, wohin es führt, wenn sehr wenige Menschen aufgrund ihrer Netzwerke den Hauptteil der Macht besitzen. Andererseits musste ich aber auch erklären, wie die Super-hubs zu Super-hubs geworden sind. Also schildere ich anekdotisch, wie Persönlichkeiten wie der Finanzinvestor George Soros, der Top-Manager Jamie Dimon von JPMorgan Chase oder Klaus Schwab, der Begründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, strategisch ihre Netzwerke aufgebaut haben.

Sie gewähren in dem Buch tiefe Einblicke in die informellen Funktionsweisen des internationalen Finanzsystems. Haben Ihnen das die Menschen, die Sie porträtieren, nicht übelgenommen?
Das globale Finanzsystem ist immer ein großes Reizthema, aber die Insider waren sehr unterstützend. Ich glaube, dass heute niemand mehr die offensichtlichen Fehler dieses Systems abstreiten kann. Es ist in den letzten Jahren immer instabiler geworden. Ich werde Anfang nächsten Jahres auch in einem internationalen Dokumentarfilm zu sehen sein, der sich kritisch mit dem Kapitalismus auseinandersetzt. Das Filmteam hat mich unter anderem zum Weltwirtschaftsforum nach Davos begleitet. Dort habe ich ihnen einige meiner Kontakte vorgestellt. Der Regisseur war selbst sehr überrascht, wie freizügig die „Super-hubs“ ihm nicht nur Auskunft gegeben, sondern ihm auch Zutritt zu ihren eigenen Netzwerke gewährt haben.

Können diese mächtigen Insider-Netzwerke dann nicht selbst dazu beitragen, das System zu verbessern?
Netzwerke können sowohl zu guten als auch zu negativen Zwecken genutzt werden. Outsider-Netzwerke können gegen die Establishment-Netzwerke mobilmachen, um als „checks and balances“, als Kontrollmechanismus zu fungieren und Druck auszuüben. Von innen ist das schwieriger: Wenn man einmal in diesem System drin ist und es gut für einen läuft, ist es realistischerweise immer schwierig, sich frei zu machen von den Systemdynamiken. Solange das System so ist, wie es ist, benutzen es die Super-hubs natürlich zu ihrem Vorteil. Zum Teil arbeiten Sie aber auch auf Veränderungen hin. Die Schlüsselfrage, die ich auch im Buch stelle, ist: Wer trägt die Verantwortung, das System oder die Super-hubs? Das ist nicht leicht zu beantworten, im Endeffekt ist es sicherlich ihr Zusammenspiel.

Also haben Netzwerke ein demokratisches Potential, das aktiv genutzt werden muss?
Das Potential haben sie sicherlich, aber in den vergangenen Jahren haben wir gesehen, dass Netzwerke auch immer wieder dazu benutzt werden, die Demokratie zu unterwandern. Hier in den USA haben wir den Skandal um Facebook, Cambridge Analytica und die Wahl Trumps. Aber auch der Brexit scheint beeinflusst worden zu sein und bei den Wahlen in Frankreich wurde versucht, Einfluss zu nehmen. Wir sehen also einen Angriff auf die Demokratie, bei dem vor allem die technischen Netzwerke massiv für negative Zwecke genutzt werden.
Dabei sind die technischen und die menschlichen Netzwerke eng miteinander verwoben. Das macht eine klare Abgrenzung schwierig. Facebook beruhte ja am Anfang auf persönlichen Kontakten und weitete sich dann überproportional auf vorher unbekannte, digitale Kontakte aus. Wir müssen also kritisch bleiben und dürfen die menschlichen Kontakte jenseits der sozialen Netzwerke nicht vernachlässigen.


Das Interview führte Eva Schissler.

 


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