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Interview mit Hernán Bruno und Jörn Grahl

"Für Wissenschaftler ist die Digitalisierung ein großartiges, aber auch gefährliches Feld"

"Data, Experiments and Decisions" - Executive Workshop im November 2017 Foto: Andrea Leon-Diaz

Ende November 2017 fand an der Universität zu Köln erstmals ein zweitägiger Executive Workshop zum Thema "Data, Experiments and Decisions" statt. Die Professoren Hernán Bruno und Jörn Grahl leiteten den Workshop, in dem Entscheider*innen aus der Praxis mit den Wissenschaftlern gemeinsam an der Lösung von Business-Problemen arbeiteten. Im Interview sprechen die Professoren über ihre Forschungsthemen und blicken zurück auf einen spannenden ersten Executive Workshop, der auch für die Dozenten selbst Überraschungen bereithielt.

Professor Bruno und Professor Grahl, Sie sind beide Teil der Forschungsinitiative "Digitale Transformation und Value Creation". Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen wie Marketing, Informationssysteme, Psychologie und Ökonomie beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten des digitalen Wandels von Wirtschaft und Gesellschaft. Das Thema hat viele Facetten. An welchen sind Sie besonders interessiert?

Bruno: Jeder Aspekt der Gesellschaft wird durch digitale Technologien verändert, egal ob Verbraucher, Unternehmen oder Regierungen. Diese Transformation ist so schnell und so weitreichend, dass wir uns auf Fragen und weniger auf Disziplinen konzentrieren müssen. „Wie werden Unternehmen zukünftig konkurrieren?", "Wie werden Schüler zukünftig lernen?", "Wie werden wir unser Gesundheitssystem organisieren?“ – Das sind Fragen, welche die Fähigkeiten von Psychologen, Ökonomen, Experten für Management und Politik erfordern.

Mich interessiert zum Beispiel sehr, wie wir im digitalen Zeitalter Entscheidungen treffen. Ich untersuche dies, indem ich große Datensätze von Einzelhändlern analysiere und zusätzlich Verbraucher befrage. Wir wenden verschiedene Methoden an und nehmen unterschiedliche Perspektiven ein.

Hernán Bruno

Die meisten Unternehmen kämpfen immer noch damit, herauszufinden, welche Fragen ihre Daten beantworten können.

Hernán Bruno, Professor für Marketing & Digital Environment

Grahl: Ich denke, wir sind beide an Themen interessiert, die nicht so schnell verschwinden werden. Für Wissenschaftler ist die Digitalisierung ein großartiges, aber auch gefährliches Feld: Radikale Innovation findet laufend statt und wir sehen fast täglich neue bahnbrechende Technologien. Es ist verlockend, sich an einen Hype zu binden, der gerade aktuell ist, weil man der Erste sein will, der dazu Ergebnisse liefert. Aber es ist wichtig, sich zurückzunehmen. Wir müssen Themen identifizieren die substanziell sind. Wir sollten Fragen stellen, die in 10, 20, ja sogar in 50 Jahren noch wichtig sein werden, in Zeiten, in denen Facebook und Google vielleicht schon lange Geschichte sind!

Sie interessieren sich auch für Analytik und Datenwissenschaft. Das sind Forschungsinteressen, die praktische Auswirkungen auf Unternehmen haben können und damit für diese natürlich spannend sind. Wie können Daten von Managern genutzt werden, um bessere Entscheidungen zu treffen?

Bruno: Manager nutzen digitale Daten seit den 1970er Jahren, der Zeit also, ab der jedes Unternehmen sich einen Computer leisten konnte und man begann, Daten aus kommerziellen Transaktionen zu sammeln. Zu dieser Zeit war das Sammeln dieser Daten teuer, aber die Analyse war noch unkompliziert. Anders als heute, denn jetzt haben wir die technischen Möglichkeiten, um Daten mit beispiellosem Detaillierungsgrad zu sammeln, zu speichern, und zu übertragen. Es gibt auch leistungsfähige analytische Techniken, um diese riesigen, vielfältigen Datensätze zu analysieren und diese Analyse in Aktionen und Entscheidungen umzusetzen.

Doch viele Unternehmen hinken immer noch hinterher: Sie sammeln Daten, aber haben noch nicht den nächsten Schritt gemacht, nämlich auf Basis dieser Daten Fragen zu beantworten oder Entscheidungen zu treffen. Tatsächlich kämpfen die meisten Unternehmen immer noch damit, herauszufinden, welche Fragen ihre Datenfülle überhaupt beantworten kann.

Grahl: Welche Fragen mit welchen Daten, und mit welcher Methode beantwortet werden können, ist ein sehr spannendes Thema. Ein Beispiel: Viele Fragen sind das, was wir Wissenschaftler als „kausale Fragen“ bezeichnen. „Wie beeinflusst die Marketingkampagne den Umsatz?“, „Wie verändert das Empfehlungssystem das Kaufverhalten im Online Shop?“, „Wie verändert der Preis die Nachfrage?“. Solche Fragen lassen sich oft nur durch Experimente beantworten. Ohne Experimente kommen Sie schnell zu falschen Antworten und damit zu schlechten Entscheidungen.

Jörn Grahl

Wir sind mit dem Workshop ein Risiko eingegangen, aber ich bin sehr froh, dass wir es gewagt haben.

Jörn Grahl, Professor für Digital Transformation & Analytics

Ende November 2017 haben Sie zum ersten Mal einen Executive Workshop zum Thema „Daten, Experimente und Entscheidungen“ angeboten. Sie beide als Wissenschaftler aus den Bereichen Analytik und Datenwissenschaft trafen in diesem Workshop auf Unternehmensvertreter, die daran interessiert sind, Experimente zur Verbesserung ihres Unternehmens zu nutzen. Was ist im Rückblick Ihr Fazit zum Workshop?

Grahl: Es war großartig! Wir sind mit dem Workshop ein Risiko eingegangen, aber ich bin sehr froh, dass wir es gewagt haben.

Welches Risiko meinen Sie?

Grahl: Uns war klar, dass Unternehmen wissen sollten, wie man gute Experimente durchführt. Aber die Frage war, wollen sie es auch wissen? Es stellte sich heraus, ja! Mehr als  ein Dutzend Firmen hat mit uns an experimentellen Designs für Feldexperimente gearbeitet. Das war ein großer Erfolg!

Aus welchen Bereichen kamen die Teilnehmer*innen?

Bruno: Es war eine vielfältige Gruppe aus Einzelhandel, Pharmazie, Medien, Bildung, Beratung, Recht. Es war sehr anregend, die unterschiedlichen Standpunkte aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den Branchen zu sehen.

Gab es Überraschungen im Workshop - auch für Sie als Dozenten?

Grahl: Als wir die Materialien vorbereiteten, diskutierten wir viel über die optimale Komplexität und Form des Workshops. Sie können Experimente auf einfache Weise erklären, oder Sie machen es mit Statistiken und Datenanalyse. Die Statistik kann beliebig kompliziert sein.
Letztendlich haben wir haben uns gegen Komplexität entschieden. Wir haben es sehr einfach und intuitiv gehalten. Und wir merkten schnell, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehr wollten. Mehr Daten, mehr Statistik, mehr Tools und Software, mehr Analysen. Das war eine sehr angenehme Überraschung. Übrigens werden wir diese Dinge im nächsten Workshop aufnehmen.

Bruno: Ich war beeindruckt, wie viele Teilnehmer sich gegenseitig Feedback gaben, obwohl wir Gruppen mit sehr unterschiedlichen Interessen gebildet haben. Das ist der Vorteil eines Hands-on-Workshops: Die Teilnehmer können nicht nur von den Dozenten, sondern auch von einander lernen. Wir als Dozenten sind da, um allgemeine Prinzipien zu vermitteln und Techniken zu diskutieren. Unsere Aufgabe besteht darin, einen Rahmen für Diskussionen zu schaffen, eine gemeinsame Sprache und Perspektive für ein komplexes Problem zu etablieren. Sobald das funktioniert entsteht ein Multiplikatoreffekt, bei dem jeder ein Lehrer sein kann, und jeder ein Lernender – auch wir Dozenten.

Es ist wichtig zu verstehen, mit welchen Problemen Unternehmen konfrontiert sind, welche Lösungen Führungskräfte diskutieren und wie sie Entscheidungen treffen.

Jörn Grahl, Professor für Digital Transformation & Analytics

Was haben die Teilnehmer*innen gewonnen? Und wie haben Sie als Forscher von den Erkenntnissen der Teilnehmer*innen profitiert?

Grahl: Die Teilnehmer*innnen haben gelernt wie man gute Geschäftsexperimente entwirft, durchführt und analysiert. Das ist zumindest meine Hoffnung. Auch wir Forscher haben viel dazugelernt. Es ist wichtig zu verstehen, mit welchen Problemen Unternehmen konfrontiert sind, welche Lösungen Führungskräfte diskutieren und wie sie Entscheidungen treffen. Wir profitieren deshalb sehr von den Interaktionen während des Workshops.

Möchten Sie weitere Executive Workshops anbieten? Zum selben oder zu einem anderen Thema?

Grahl: Auf jeden Fall. Die zweite Auflage dieses Workshops ist bereits in Arbeit. Wir planen, es etwas größer zu machen, indem wir viele der Materialien und Ideen, die von den Teilnehmern vorgeschlagen wurden, hinzufügen.

Bruno: Wir möchten beim selben Thema bleiben, aber etwas breiter werden. Ich denke es macht Sinn die Ziele beizubehalten, aber den Workshop etwas zu optimieren. Wir sollten auch versuchen eine Community aufzubauen, in der sich Praktiker und Wissenschaftler gemeinsam mit Experimenten und anderen Formen der Datenanalyse beschäftigen.

Wie war das Feedback der Teilnehmer*innen?

Bruno: Sehr positiv. In der Tat wünschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sogar noch mehr technische Details und tieferes Eintauchen in die Datenanalyse. Wir freuen uns deshalb bereits auf den nächsten Workshop!

Was sind die nächsten Projekte, an denen Sie gerade arbeiten oder die Sie planen?

Grahl: Ich hoffe, dass das eine oder andere Experiment, das wir während des Workshops entwickelt haben, als Gemeinschaftsprojekt von Industrie und Wissenschaft verwirklicht wird. Das wäre großartig!

Bruno: Stimmt. Und: wir hoffen auf langfristige Perspektiven. Der Workshop setzt vielleicht Ideen in Gang, die erst in einiger Zeit zu einer Zusammenarbeit führen.

Vielen Dank für das Interview!

 

Die Fragen stellte Sarah Brender.

Hinweis: Die Originalversion des Interviews in englischer Sprache finden Sie hier: Interview with Jörn Grahl and Hernán Bruno.