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Bertelsmann-Studie „Die Stunde der Populisten?“

„Populismus ist nicht nur öffentlich sondern auch wissenschaftlich ein umstrittenes Konzept“

Foto: Sumitra Badrinathan

Dr. Christopher Wratil, Thyssen Postdoc Fellow am Cologne Center for Comparative Politics (CCCP), hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Studie mit dem Titel „Die Stunde der Populisten? – Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017“ in Zusammenarbeit mit Dr. Robert Vehrkamp veröffentlicht. Grundlage der Studie ist eine Online-Panel-Umfrage. Im Interview verrät er unter anderem, welche Ergebnisse der Studie ihn besonders überrascht haben.

Dr. Christopher Wratil im Interview


Herr Wratil, Sie haben im Auftrag der Bertelsmann Stiftung  in Zusammenarbeit mit Dr. Robert Vehrkamp eine repräsentative  Studie mit dem Titel „Die Stunde der Populisten? Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017“ veröffentlicht.

Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie?


Die Studie untersucht die Verbreitung populistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung sowie ihre Rolle für das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl. Ähnlich wie Studien zu anderen Ländern, die dieselben Messinstrumente benutzen, zeigen wir auch für Deutschland, dass populistische Thesen breite Zustimmung in der Bevölkerung finden. Ungefähr 30% der Deutschen stimmen solchen Thesen ganz überwiegend zu, weitere 30% stimmen zumindest einigen der Thesen zu. Populisten werden auch durch andere Themen von politischen Kandidaten überzeugt als unpopulistische Wähler. Insbesondere ist ihnen die Begrenzung der Zuwanderung von Flüchtlingen deutlich wichtiger. Ebenso sind Populisten weniger durch pro-europäische Positionen zu gewinnen als andere Wähler, wobei eine Vertiefung der EU aber auch nicht abschreckend auf populistische Wähler wirkt. Vielmehr werden Populisten im Mittel von Europa-Themen kaum bewegt, sondern vornehmlich von der Flüchtlingspolitik.

Welche Ergebnisse Ihrer Studie haben Sie besonders überrascht?

Es gibt einen relativ starken Zusammenhang von populistischen Einstellungen und Wahlabsicht für die AfD. Unter Menschen mit rechten politischen Einstellungen erhält die AfD bei Populisten über 40% der Stimmen, aber nur etwa 15-20% unter Rechten ohne populistische Einstellungen. Dies zeigt deutlich, dass die AfD nicht nur für Rechte interessant ist, sondern ganz besonders für rechte Populisten. Das hat mich überrascht.

Können Sie das genauer erläutern?

Populismus zeichnet sich nicht nur durch anti-pluralistische Positionen aus, sondern auch durch Kritik am politischen Establishment sowie dem Ruf nach Volkssouveränität und direkter Demokratie. Diese beiden Aspekte spiegeln sich zwar auch im AfD-Parteiprogramm wider, aber sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung der AfD nicht so dominant wie etwa die Kritik an der Flüchtlingspolitik oder am Euro. Deshalb war für mich unklar, ob die AfD-Wähler wirklich klar populistisch eingestellt sind. Unsere Ergebnisse deuten in diese Richtung und komplettieren andere Analysen, die den populistischen Inhalt von AfD-Pressemitteilungen oder die populistischen Einstellungen von AfD-Kandidaten belegen.

Dieser Studie liegt eine Online-Panel-Umfrage zugrunde. Welche Art von Fragen waren dabei gestellt worden? Können Sie Beispiele für Fragen geben?

Populismus ist nicht nur öffentlich sondern auch wissenschaftlich ein umstrittenes Konzept. Wir sind der in der Wissenschaft geläufigsten Definition des Populismus-Forschers Cas Mudde gefolgt. Er definiert Populismus als „eine Ideologie, welche die Gesellschaft letztlich in zwei homogene und antagonistische Gruppen unterteilt, ‚das reine Volk’ gegen die ‚korrupte Elite’, und die argumentiert, dass Politik ein Ausdruck des volonté générale (des allgemeinen Willens) des Volkes sein sollte“. In der Literatur werden so definierte populistische Einstellungen anhand der Zustimmung zu bestimmten Aussagen gemessen. Zum Beispiel: „Mir wäre es lieber, von einem einfachen Bürger politisch vertreten zu werden als von einem Politiker“ oder „Was man in der Politik ‚Kompromiss’ nennt, ist in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien“. Wer solchen und ähnlichen Aussagen zustimmt, ist im Sinne der Definition populistisch eingestellt.

Das Reichstagsgebäude in Berlin Foto: tvjoern / pixabay.com

Laut Ihrer Studie sind in Deutschland populistische Einstellungen nicht nur am linken und rechten Rand des politischen Spektrums, sondern auch und gerade in der politischen Mitte weit verbreitet. Jedoch seien die meisten dieser Menschen eher „enttäuschte Demokraten“ und „keine Feinde der Demokratie“. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Eine (Über-)Betonung der Idee der Volkssouveränität ist ein wichtiger Aspekt der populistischen Ideologie. Populistische Politiker mobilisieren Wähler, indem sie auf die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem demokratischen Versprechen der „Volksherrschaft“ und der realen Demokratie, die oft elitär und institutionell-entfernt wirkt, hinweisen. Sie sagen beispielsweise wie beim Brexit: „Unsere Bevölkerung hat genug von ‚Experten’ und ‚Politikern’, sie ist der Souverän und muss jetzt gehört werden“.  Viele predigen geradezu die „wahre“ Demokratie.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass populistisch eingestellte Menschen nicht unbedingt gegen Demokratie als politisches System sind. Sie sind aber – wie wir zeigen – mit dem derzeitigen Funktionieren der Demokratie unzufrieden.

Sie standen vor dem Problem, Populismus für die Studie „messen“ zu müssen. Wie haben sie es gelöst? Ab wann haben Sie eine Person als Populisten eingeordnet?

Wie ich schon kurz erwähnt habe, nutzen wir die Messinstrumente nach der Populismus-Definition von Cas Mudde und seinen Ko-Autoren. Mit unseren acht populistischen Aussagen kann man ein ganzes Kontinuum an verschieden starken populistischen Einstellungen abbilden. Allerdings haben wir zum leichteren Verständnis für die Öffentlichkeit die Befragten vereinfacht in drei Gruppen eingeteilt. „Populisten“ sind bei uns Befragte, die allen acht Aussagen tendenziell zustimmen. Das heißt, sie stimmen insbesondere auch allen Teilaspekten des Populismus zu, die sich hinter den Aussagen verbergen. Natürlich könnten Sie die Grenze auch anders ziehen und in wissenschaftlichen Arbeiten würden wir eher einen „Populismus-Score“ skalieren – darunter können sich die meisten Menschen aber nicht leicht etwas Konkretes vorstellen.

Welche populistischen Themen konnten die befragten potentiellen Wähler*innen besonders überzeugen?

Neben Standardthemen wie Europa, Flüchtlinge, Umverteilung und Globalisierung haben wir auch den Effekt von typischen „populistischen Prioritäten“ wie die Bekämpfung politischer Korruption, die Ausweitung von Volksabstimmungen sowie die Entmachtung der politischen Elite betrachtet. Dabei zeigt sich, dass die meisten populistischen Prioritäten bei den Wählern ähnlich gut abschneiden wie klassische Prioritäten, etwa „Wirtschaftswachstum fördern“ oder „soziale Gerechtigkeit stärken“. Selbst im Mittel aller Wahlberechtigten verlieren Kandidaten nicht durch eine populistische Prioritätensetzung – mit einer Ausnahme: Kandidaten, die die politische Elite entmachten wollen, schrecken deutsche Wähler mit dieser Priorität in der Mehrzahl ab. Selbst bei populistisch eingestellten Wählern ist der Effekt dieser Priorität negativ.  

Für wie wahlentscheidend schätzen Sie diese Themen ein?

Das lässt sich letztlich nur schwer sagen. Unsere Experimente können im besten Fall das Gewicht der von uns betrachteten Aspekte vergleichen. In dieser Hinsicht deuten sie darauf hin, dass für deutsche Wähler in diesem Jahr wahrscheinlich die Flüchtlingspolitik, Umverteilungs- sowie die Europa-Themen wichtiger sind als typische allgemein-populistische Prioritäten. Man muss aber bedenken, dass jedes Modell immer nur eine Reihe von Faktoren betrachten kann. Wir bilden beispielsweise weder die Parteizugehörigkeit von Kandidaten noch Faktoren wie Kompetenzzuschreibungen, politische Skandale, oder Sympathien für Kandidaten ab. Ob diese wichtiger oder weniger wichtig sind oder sogar den Effekt populistischer Themen verstärken, können wir leider nicht feststellen.

Eine fundamentale Frage ist  ‚Warum gibt es den Populismus überhaupt?‘.

Dr. Christopher Wratil

Populismus ist aktuell ein sehr negativ besetzter Begriff in Debatten und wird oft als eine Gefahr für die Demokratie dargestellt. Sie und Ihr Mitautor Robert Vehrkamp stellen in der Studie jedoch die These auf, dass ein moderater Populismus in einer lebendigen Demokratie weder gefährlich noch schädlich sein muss. Können Sie dies genauer erläutern?

Eine fundamentale Frage ist „Warum gibt es den Populismus überhaupt?“. Die britische politische Theoretikerin Margaret Canovan hat darauf vor fast 20 Jahren eine sehr interessante Antwort gegeben: Sie sagt, dass Demokratie immer zwei Gesichter hat – ein „erlösendes Gesicht“, das uns die unmittelbare Volksherrschaft verspricht mit der wir gemeinsam eine bessere Gesellschaft schaffen können, und ein „pragmatisches Gesicht“, nach dem Demokratie vor allem ein System von oft defizitären Institutionen zur friedlichen und fairen Konfliktlösung ist. Ihrer Meinung nach entspringt der Populismus aus der Spannung zwischen diesen beiden Sichtweisen auf Demokratie. Wenn das stimmt, ist der Populismus unauflösbar mit der Demokratie verbunden. Ja, verwegen könnte man sagen, dass sich in ihm der Glaube an das erlösende Gesicht der Demokratie widerspiegelt.

Canovan sagt, Demokratie rein pragmatisch zu verstehen, sei wie eine Kirche ohne Glauben zu betreiben. Positiv gesehen kann uns Populismus deshalb an zentrale Versprechen der Demokratie erinnern. Uns muss aber klar sein, dass eine starke Betonung des Prinzips der Volkssouveränität auch große Gefahren birgt. Es kann vor allem Minderheiten ausschließen, die als nicht zum „Volk“ zugehörig definiert werden. Letztlich leben wir in einer Gesellschaft mit vielen verschiedenen Interessen, in der selten der eine „Volkswille“ existiert. Institutionen wie Parteien, Wahlen und Parlamente sind der Versuch, fairen und gleichen Zugang zu politischen Prozessen für jeden zu garantieren. Der Populismus sieht diese Institutionen als unnötige Schranke zwischen dem Volk und der politischen Macht.

Welche weitergehenden Fragen hat die Studie aufgeworfen?

Ich bin nicht sicher, ob unsere Studie spezifische neue Fragen aufgeworfen hat. Aus meiner Sicht gibt es eine übergeordnete Frage, die ein wichtiger Fokus der zukünftigen Populismus-Forschung sein sollte. Und das ist die Frage nach den Ursachen für Populismus und zwar nicht im Großen – dass es Populismus überhaupt gibt, ist, wie gesagt, nicht verwunderlich – sondern die Frage ist, warum er spezifisch zu bestimmten Zeitpunkten in bestimmten Ländern besonderen Zulauf erfährt. Dazu hat die Politikwissenschaft aus meiner Sicht bisher keine abschließenden Erkenntnisse.

Herr Wratil, vielen Dank für das Interview!

Interview: Sarah Brender