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Jamaika ist gescheitert - und jetzt?

Interview mit Professor Thomas Jäger

Prof. Dr. Thomas Jäger

Nach dem Ausstieg der FDP aus den Sondierungsgesprächen für eine sogenannte "Jamaika-Koalition" aus CDU/CSU, Grünen und FDP stellt sich die Frage, was dieses Scheitern der Gespräche für Deutschland und die politischen Parteien bedeutet. Professor Dr. Thomas Jäger vom Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln hat uns diese und weitere Fragen zur aktuellen politischen Situation in Deutschland beantwortet.

Herr Professor Jäger, was bedeutet das Scheitern der Sondierungsgespräche für Deutschland?

Das Ergebnis der Bundestagswahl dokumentierte das Ende der Volksparteien in Deutschland. Nachdem die SPD Koalitionsgespräche ausschloss - die ehemals Große Koalition kam im September zusammen auf 53,5 Prozent der Stimmen - blieb zur Mehrheitsbildung nur der Versuch, Parteien zusammmenzubinden, die das eigentlich nicht anstrebten. Dieser erste Versuch auf Bundesebene ist gescheitert. Das bedeutet, dass es in Deutschland nun auf Monate hin keine Bundesregierung geben wird, die auf fester parlamentarischer Mehrheit fußt. Damit trägt nun auch Deutschland zu den Unsicherheiten in der EU - Brexit, Wirtschafts-, Migrations- und Sicherheitspolitik - bei. Und im Innern könnten populistische Kräfte aus diesem Prozess neue Zustimmung erhalten.   

Für wie wahrscheinlich halten Sie Neuwahlen?

Überraschend hat sich der Bundespräsident, der am Ende über die Frage "Minderheitsregierung oder Auflösung des Bundestags" entscheidet, schon mit seiner Skepsis gegenüber Neuwahlen vor dem Ende der Verhandlungen öffentlich geäußert. Wenn die SPD allerdings bei ihrer Haltung bleibt, wird es Neuwahlen geben; möglicherweise erst nach einer kurzen Phase der Tolerierung einer Minderheitsregierung. Hier kommen dann die verschiedenen parteipolitischen Interessen ins Spiel.

Was bedeutet das Scheitern für die Parteien? 

In den Parteizentralen wird man jetzt die unterschiedlichen Optionen durchspielen und ganz besonders die Umfragen nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche erwarten. Die Umfrageergebnisse nach der Bundestagswahl ergaben ja ein ziemlich konstantes Bild. Doch die Entscheidungen der nächsten Wochen werden auch daran gemessen, wer jetzt in der Wählergunst zulegt oder verliert. Und völlig zur Unzeit stellt sich der SPD die Frage nach der Führungsmannschaft. Das ruhige Aufstellen in der Opposition ist für die SPD ebenso gescheitert wie für die vier Parteien die Regierungsbildung. Jedenfalls werden sich jetzt alle Parteien auf Neuwahlen vorbereiten, denn viel Zeit bleibt da nicht.

Gibt es Ihrer Einschätzung nach Parteien, die von Neuwahlen profitieren könnten?

Das wird davon abhängen, wie diese Entscheidung in den Medien interpretiert wird - als Prinzipientreue oder Unzuverlässigkeit der FDP, als Durchsetzungskraft oder Kompromisslosigkeit der Grünen, als kluges Moderieren oder „Regieren-um-jeden-Preis“ der Unionsparteien. Nun wird es für die einzelnen Parteien darauf ankommen, den eigenen Wählerinnen und Wählern das Ergebnis überzeugend zu kommunizieren. Sieht man die Selbsteinschätzung an, dann scheint die AfD zu erwarten, von Neuwahlen profitieren zu können. Dafür gibt es aus den Sondierungen auch zwei Gründe: zum einen wurde für deren wichtigstes Thema, die Asyl- und Migrationspolitik, kein aus deren Sicht überzeugendes Ergebnis präsentiert. Zum anderen beschädigt der derzeitige Zustand das Vertrauen in die Parteien überhaupt. Aber ob das so kommt, wird man abwarten müssen; es sind bis dahin ja noch einige Monate hin und in dieser Zeit wird es eine Rolle spielen, wer jetzt rasch und aus dem Stand kampagnenfähig wird. Die anderen Parteivertreter klingen aber nicht so, als würden sie sich darauf freuen.

Glauben Sie, dass im Falle von Neuwahlen Angela Merkel erneut zur Wahl stehen wird?

Bundeskanzlerin Merkel ist es in den letzten Wochen ja gelungen, die herbe Niederlage der Unionsparteien zu überspielen. Erst mit dem Scheitern der Sondierungsgespräche tritt deutlich ins öffentliche Bewusstsein, dass sie bei der Wahl eine stabile Koalitionsoption verfehlte. Die CDU wird an ihr als Kanzlerin festhalten. Man muss dann abwarten, ob sich eine weitere Kandidatin oder ein weiterer Kandidat im Bundestag zur Wahl stellt, wenn es keine feste Mehrheitsbildung gibt. Auch bei Neuwahlen wird sie wieder antreten wollen. Anders als in der CSU, in der die Nachfolgefrage öffentlich diskutiert wird, steht die CDU da geschlossener da. 

Vielen Dank für das Interview, Professor Jäger!

Die Fragen stellte Sarah Brender.