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Zusammenhang von ethnischer Diversität und Nachbarschaftskonflikten

Studie u.a. von Merlin Schaeffer

Merlin Schaeffer

Foto: Lisa Beller

In Städten vergeht kein Tag ohne Nachbarschaftskonflikte: Eine Nachbarin dreht nachts laut die Musik auf, ein anderer Nachbar blockiert ständig mit seinem Wagen die Ausfahrt. Die Soziologen Merlin Schaeffer (Institut für Soziologie und Sozialpsychologie, Universität zu Köln) und Joscha Legewie (New York University) haben nun herausgefunden, dass es in Städten mit starker Trennung ethnischer Gruppen (Segregation) häufiger zu Streit kommt – insbesondere wenn die Grenzen zwischen zwei homogenen Gruppen nicht klar definiert sind. Zu dem Ergebnis sind sie gekommen, nachdem sie 4,7 Millionen Nachbarschaftsbeschwerden der Stadt New York ausgewertet haben. Ihre Studie ist jetzt im American Journal of Sociology erschienen.

 

Beispiel New York: Hohe Segregation
Mit New York City wählten die beiden Wissenschaftler für ihre Studie eine Stadt mit einer vergleichsweise hohen Segregation. So gibt es etwa von Weißen bewohnte Gebiete, die vollständig von Häuserblöcken mit afro-amerikanischen Anwohner/innen umgeben sind. Zu Nachbarschaftskonflikten kommt es in diesen Gebieten vor allem dort, wo die Grenze zwischen den beiden ethnischen Gruppen unscharf verläuft. Die Zahl der Beschwerden ist hier um etwa 26 Prozent höher als in Gegenenden, in denen klare Grenzen zwischen den Gruppen existieren oder wo es aufgrund ethnischer Homogenität gar keine Grenzen gibt. Ihre Begründung: Segregation befördert ethnische Gruppenidentitäten und damit auch das Gefühl eines Territorialanspruchs, der gerade an unscharfen Grenzen für Konflikte sorgt.

 

Mehr Streit in Städten mit starker Trennung ethnischer Gruppen
„In gut durchmischten Städten gibt es dieses Phänomen eher nicht“, betont Schaeffer, „denn erst das Vorhandensein von Segregation schafft die Voraussetzung für Grenzkonflikte“. Deutschland etwa habe im internationalen Vergleich relativ geringe Segregations-Niveaus.

Die Nachbarschaftsgrenzen definierten Schaeffer und Legewie mit Hilfe von Algorithmen zur sogenannten Kantendetektion. Solche Algorithmen kommen unter anderem bei der Entwicklung von selbstfahrenden Fahrzeugen zum Einsatz, die dadurch die Ränder von Objekten erkennen. Schaeffer und Legewie analysierten mit Hilfe solcher Algorithmen die Bevölkerungsdaten der Stadt New York und machten die Grenzverläufe zwischen ethnisch homogenen Nachbarschaftsverläufen sichtbar. So konnten sie erkennen, wo die Grenzen zwischen ethnischen Gruppen scharf beziehungsweise unscharf verlaufen.

 

Beschwerden bei der Behördenhotline 311
Wie häufig es in einem bestimmten Gebiet zu Nachbarschafskonflikten kommt, fanden die Wissenschaftler anhand der Anrufe heraus, die bei der New Yorker Behördenhotline 311 eingegangen sind. Vergleichbar mit dem Ordnungsamt in Deutschland nimmt diese Hotline Beschwerden von Anwohner/innen entgegen. Schaeffer und sein Kollege werteten die Ortsdaten von insgesamt 4,7 Millionen Anrufen aus, die im Jahr 2010 bei der Nummer 311 eingegangen sind. Die häufigsten Beschwerdegründe waren zugeparkte Ausfahrten, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Lärmbelästigung durch Musik sowie illegale Untervermietung von Wohnraum. Explizit von den Auswertungen ausgeschlossen wurden dagegen Beschwerden über Belästigungen, die nicht auf Privatpersonen zurückgingen, wie zum Beispiel Lärm von Baustellen oder Restaurants.

 

Big Data als Quelle für Soziologen
„Es gibt eine zunehmende gesellschaftliche Diskussion über die Möglichkeiten aber auch Gefahren, die Auswertungen von ‘big data’, mit sich bringen,“ erklärt Schaeffer. „Unsere Auswertung von Millionen von Beschwerdeanrufen, ist ein Beispiel dafür, wie Soziologen wichtige Erkenntnisse über die Voraussetzungen friedlichen Zusammenlebens in diversen Einwanderungsgesellschaften gewinnen können.“

 

Zur Verdeutlichung: Grafik
Die folgende Grafik  zeigt die Forschungsmethode am Beispiel von Crown Heights South in Central Brooklyn, New York City. Zu sehen ist ein Bereich, der vor allem von Anwohner/innen afro-amerikanischer Herkunft bewohnt wird sowie ein kleiner Bereich in der Mitte, mit ausschließlich weißen Bewohner/innen. Die Abgrenzung der weißen Anwohner/innen ist an der westlichen Seite besonders deutlich, bleibt an der nordöstlichen Seite jedoch unscharf: http://www.portal.uni-koeln.de/sites/uni/_processed_/csm_20160712_nachbarschaftsstreit_958c20f100.jpg

Link zur Originalveröffentlichung:
http://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/686942

Alternativ:
http://jlegewie.com/files/Legewie-Schaeffer-2016-ContestedBoundaries.pdf