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"Das war kalkuliert"

Prof. Dr. Thomas Jäger im Interview zur Abstimmung im Bundestag zur „Ehe für alle“

Wir haben Prof. Dr. Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der WiSo-Fakultät, zur Abstimmung im Bundestag über die Ehe für alle befragt.


Herr Prof. Dr. Jäger, der Bundestag beschloss heute Morgen die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare. War dieses Abstimmungsergebnis abzusehen?

„Ja, denn klar war, dass die drei Fraktionen von SPD, Grünen und Linke geschlossen dafür stimmen werden. Da es auch in den Reihen der CDU eine Reihe von Befürwortern gab, war die Mehrheit sicher. Damit war absehbar: wenn der Tagesordnungspunkt aufgerufen wird, kommt eine Mehrheit zustande. Indem die CDU/CSU die Unterstützung der SPD nur zum Vertrauensbruch und nicht zum Bruch des Koalitionsvertrages erklärte, war die Tür hierfür geöffnet. Seitens der CDU/CSU hätte man mit dem Bruch der Koalition drohen müssen, um diese Abstimmung zu verhindern. Aber das wollte niemand. Denn auch wenn drei Viertel der Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU mit Nein stimmten, die Mehrheit der Unionswähler war für ein Ja. Insgeheim wird die Unionsführung froh sein, dieses Thema so Knall auf Fall abserviert zu haben."


 „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“, bestimmt Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sehen Sie hier nun eine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu ändern?


„Darüber werden sich möglicherweise die Richter des Bundesverfassungsgerichts Gedanken machen müssen, falls es eine Normenkontrollklage geben sollte. Ob es die gibt, ist nicht sicher, denn die Hürden sind im Bundestag hoch und welche Landesregierung dies anstreben sollte, erschließt sich mir derzeit nicht. Es stehen sich zwei Rechtspositionen gegenüber: Die eine sagt, Ehe und Familie in Artikel 6 des Grundgesetztes (Absatz 1: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“) sagt doch nichts über das Geschlecht aus und da haben sich seit 1949 die Auffassungen eben geändert. Die gegenstehende Auffassung bestreit diese Offenheit und erklärt: wenn sich die gesellschaftliche Auffassung geändert hat, dann muss man eben das Grundgesetz ändern. Ein einfaches Gesetz reicht hierzu nicht aus. Wahrscheinlich hat sich heute aber die normative Kraft des Faktischen durchgesetzt. Falls die Norm nicht doch noch durch das Bundesverfassungsgericht geprüft wird.“


Lange wurde die parlamentarische Entscheidung über die „Homo-Ehe“ hinausgezögert. Auch entschied sich Frau Merkel bei der heutigen Abstimmung dagegen, obwohl Sie Anfang der Woche für das Vorantreiben der Abstimmung im Bundestag plädierte. Welche politische Strategie könnte sie hiermit verfolgen?


„Der Bundeskanzlerin ging es aus meiner Sicht darum, eine Position zu räumen, die ihr im Wahlkampf schaden könnte. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung, an die 80 Prozent, unterstützen dieses Gesetz und auch bei den Unionswählern ist die Mehrheit dafür. Die Kalkulation wird gewesen sein: wenn das Thema aus dem Wahlkampf gehalten wird, kann niemand Frau Merkel deswegen die Stimme verweigern. SPD, Grüne, Linke und auch die FDP hätten dann ein Wahlkampfthema gehabt, das ihnen heute abhanden gekommen ist. Und die von dieser Abstimmung enttäuschten Unionswähler haben angesichts des Niedergangs der AfD ja derzeit keine Alternative. Dass Frau Merkel mit Nein gestimmt hat, ertüchtigt sie dann sogar noch zu sagen, dass sie sich an das Grundstzprogramm der CDU gehalten hat. Dass sich Frau Merkel in dem Brigitte-Interview versprochen hat, wie es heute hieß: einen Schabowski-Moment hatte, sehe ich nicht. Das war kalkuliert.“
Vielen Dank für das Gespräch Herr Prof. Dr. Jäger.